BSG: Fahrtkosten-Mehrbedarf bei Strafhaftbesuch auch des Lebensgefährten
Ein Härtefallmehrbedarf nach § 21 Abs. 6 Satz 2 SGB II kann auch zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen entstehen. Der Bedarf ist nicht auf die Beziehungspflege zu Ehegatten und Familienangehörigen beschränkt. (Leitsätze der Redaktion)
Sachverhalt: Die Klägerin, die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende bezog, besuchte über einen längeren Zeitraum etwa zweimal pro Monat ihren Strafhaft verbüßenden Lebensgefährten in einer Justizvollzugsanstalt (JVA) außerhalb ihres Wohnortes. Unter Vorlage von Tankquittungen beantragte sie beim Jobcenter vergeblich die Erstattung der Kosten für zwei Fahrten zur JVA in einem Monat in Höhe von insgesamt 79,78 Euro. Das Jobcenter war der Ansicht, die Klägerin sei zu Besuchen in der JVA weder rechtlich noch sittlich verpflichtet; eine Kommunikation mittels Brief und Telefon sei möglich.
Entscheidungsgründe: Zwar könne ein Härtefallmehrbedarf auch zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen entstehen und ist nicht von vornherein auf die Beziehungspflege zu solchen Personen beschränkt, deren Verhältnis dem Schutzbereich des Art 6 Abs. 1 GG unterfällt oder familienrechtlich geregelt ist. Ein Bedarf sei aber nur unabweisbar, wenn ein besonderes Näheverhältnis zu der von der Beziehungspflege betroffenen Person besteht. Anders als das Jobcenter meint könne diese Voraussetzung auch erfüllt sein, wenn keine Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 Nr. 3 Buchstabe c SGB II vorliegt. Notwendig sei aber, dass die beiden betroffenen Personen in einer ähnlich engen, exklusiven und gegenüber allen anderen zwischenmenschlichen Beziehungen der leistungsberechtigten Person prioritären Beziehung gelebt haben. In diesem Fall seien die von der Klägerin geltend gemachten Kosten als erheblich im Sinne von § 21 Abs. 6 Satz 2 SGB II anzusehen.
Sie überstiegen den im Regelbedarf enthaltenen Anteil für Verkehr von 25,12 Euro um 54,66 Euro und entsprächen einem Anteil von knapp 14 % am maßgeblichen Regelbedarf von (damals) 399 Euro. BSG, Urteil vom 26.01.2022 – B 4 AS 3/21 R (Terminbericht)